„Every time I feel good about myself, I go over to Instagram, and then it all goes away.“ 

Zitat einer 17-jährigen Schülerin aus dem Wall Street Journal

 

Dass Instagram Schönheitsideale stark beeinflusst und vor allem auf junge Menschen negative Effekte haben kann, ist wohl kein Geheimnis. Wie schwerwiegend jedoch die Auswirkungen sind und wie genau die Betreibenden darüber Bescheid wissen, das hätte im Interesse des Konzerns wohl vorerst ein Geheimnis bleiben sollen. Dem setzten jedoch die Facebook Files ein abruptes Ende.
Mitte September 2021 veröffentlichte das Wall Street Journal (WSJ) eine Reihe von investigativen Artikeln, die interne Auswertungen und Erkenntnisse des Facebook-Konzerns, der mittlerweile in Meta umbenannt wurde, enthüllten. Die Informationen stammen aus internen Dokumenten, die die ehemalige Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen dem Wall Street Journal zugespielt hatte. Die Einblicke sind tiefgreifend: Menschenhandel, Drogenkartelle, Fake News, geheime Eliten, Stimmungsmache. Was vorher vielleicht noch vage Vermutungen waren, bestätigt sich nun schwarz auf weiß.

All diesen schwerwiegenden Themen kann kein einzelner Blogbeitrag gerecht werden. Der folgende Bericht fokussiert daher ein Thema, das im Sinne des Jugendmedienschutzes von besonderem Interesse ist: Facebooks Untersuchungen zu Instagram und dessen Wirkungen auf Teenager.
Die Untersuchungen, auf die sich das Wall Street Journal bezieht, begannen im Jahr 2019. Sie umfassen verschiedene Befragungen und Studien, welche das Nutzungsverhalten und die (psychologischen) Auswirkungen von Instagram auf junge Nutzer*innen betrachten. Dabei wurde scheinbar immer wieder festgestellt, dass Instagram bei einem erheblichen Prozentsatz von Teenagern negative Effekte zeigt.

 

„We make body image issues worse for one in three teen girls.”

(Interne Facebook-Slide, 2019; Quelle: WSJ)

Ein Aspekt, der zu einer besonders negativen Reaktion führt, ist die sogenannte „social comparison“ oder der soziale Vergleich. Jugendliche sehen auf Instagram das scheinbar bessere oder sogar perfekte Leben und Aussehen von anderen und messen sich selbst dadurch einen geringeren Wert zu. Dieser Effekt scheint insbesondere bei Instagram aufzutreten:

 

„Social comparison is worse on Instagram.”

(Zitat aus interner Facebook-Forschung, 2020; Quelle: WSJ)

Das Problem scheint bereits im Kern der App zu liegen: Nur die schönsten Momente und perfekten Bilder werden geteilt. Besonders gefährlich scheint das Instagram Feature Explore Page zu sein. Dort bekommen User*innen durch einen Algorithmus genau auf sie abgestimmte Bilder und Videos gezeigt. Dies kann im schlimmsten Fall zu einer (Abwärts-)Spirale aus problematischen Inhalten führen.

 

„Aspects of Instagram exacerbate each other to create a perfect storm.”

(Zitat aus interner Facebook-Forschung, 2020; Quelle: WSJ)

Die negativen Folgen sind weitreichend: ein schlechtes Körpergefühl, Angstzustände, Depressionen, Essstörungen – einige Jugendliche berichten sogar von Suizidgedanken. Bis zu welchem Grad diese Probleme allein durch Instagram hervorgerufen oder „nur“ verstärkt werden, kann jedoch (noch) nicht konkret gesagt werden.
Dabei sind sich die jungen Anwender*innen durchaus darüber bewusst, welche Wirkungen die Nutzung von Instagram auf sie haben kann, auch das zeigen die internen Dokumente. Einige von ihnen berichten, dass sie häufig gerne eine Auszeit von der Plattform nehmen wollen würden, ihnen jedoch die Willenskraft dazu fehle.

 

„They often feel ‘addicted’ and know that what they’re seeing is bad for their mental health but feel unable to stop themselves.”

(Zitat eines „Instagram research managers“ aus den internen Dokumenten; Quelle: WSJ)

Bild von Anastasia Gepp auf Pixabay

Symbolbild von Anastasia Gepp auf Pixabay 

Wie reagieren die Plattformen selbst auf den öffentlichen Druck und die Empörung in Folge der Veröffentlichungen?

Facebook dementiert viele der negativen Folgeerscheinungen und wirft dem Wall Street Journal vor, die Ergebnisse der Untersuchungen verzerrt dargestellt zu haben. Die Befragungen hätten zum Teil nur sehr wenige Teilnehmer*innen gehabt, wodurch sie nicht repräsentativ seien. Zudem seien sie insbesondere darauf ausgerichtet gewesen, die negativen Aspekte herauszustellen, um diesen anschließend entgegenwirken zu können. Auch seien die Ergebnisse in den internen Dokumenten häufig stark verkürzt und vereinfacht dargestellt worden, da sie nur für Mitarbeiter*innen gedacht waren, die mit der Problematik und auch den Limitationen der Untersuchungen vertraut waren.
Der Konzern möchte vielmehr den Blickwinkel auf die positiven Gesichtspunkte von Social Media und insbesondere Instagram richten. Demnach können soziale Apps auch einen positiven Einfluss auf deren Anwender*innen haben, indem sie ihnen beispielsweise helfen, sich zu vernetzen, in Kontakt zu bleiben oder auch marginalisierten Gruppen Sichtbarkeit verleihen.

Auch ist dem WSJ-Artikel zu entnehmen, dass Facebooks interne Analysen vermuten lassen, für die meisten Heranwachsenden seien die negativen Effekte von Instagram verkraftbar und die positiven Wirkungen würden überwiegen. Insbesondere Jugendliche, die bereits Ansätze von mentalen Problemen oder Krankheiten haben, seien jedoch besonders anfällig für negative Folgen.

 

„It’s the ones who are most vulnerable or are already developing a problem – the use of Instagram and other social media can escalate it.

(Zitat Angela Guarda, director for the eating-disorders program at Johns Hopkins Hospital
and associate professor of psychiatry in the Johns Hopkins School of Medicine; Quelle: WSJ)

 

Wie wollen die Plattformen ihre Angebote in Zukunft sicherer gestalten?

Bereits im Vorfeld der Enthüllungen haben Facebook und Instagram an verschiedenen Optionen gearbeitet, um die Erfahrungen junger Nutzer*innen zu verbessern. Laut der Forschenden bestünde eine große Schwierigkeit darin, herauszufinden, welche User*innen das größte Risiko tragen. Zudem sei es kompliziert, Wege zu finden, den negativen Einfluss zu reduzieren ohne Verlust von Communitymitgliedern. So wurde schon seit mehreren Jahren damit experimentiert, „Likes“ zu verbergen – dieses Pilotprojekt Project Daisy führte jedoch zu keinen merklichen Verbesserungen.

Darüber hinaus testet Instagram momentan ein Feature namens Take a break. Dieses schlägt App-Nutzenden nach einer gewissen Zeit vor, eine Pause von der Plattform einzulegen. Ein weiterer Vorschlag, der aus den internen Dokumenten hervorgeht, beschäftigt sich mit dem konzentrierten Angebot von „lustigen“ Filtern statt Beauty-Filter, denn Beauty-Filter würden teilweise stark in das Aussehen eingreifen und zu einem verzerrten Selbstbild und unrealistischen Schönheitsidealen führen. Zudem sollen die jungen Anwender*innen weniger Celebrity-, Mode- und Beauty-Content ausgesetzt sein. Dieses Vorhaben stieß jedoch bereits intern auf Kritik, denn ist nicht gerade dieser Content der Schlüssel zum Erfolg der App?

 

„Isn’t that what IG is mostly about?” Getting a peek at “the (very photogenic) life of the top 0.1%? Isn’t that the reason why teens are on the platform?

(Zitat Facebook-Mitarbeiter; Quelle: WSJ)

Ein weiteres geplantes Feature soll Nutzer*innen in Zukunft mit alternativen Inhalten ablenken, wenn sie sich zu lange mit ggf. problematischem Content beschäftigen. Dies läuft den derzeitigen Algorithmen von Instagram entgegen, die v.a. ähnliche Inhalte vorschlagen. Auch die (Weiter-)Entwicklung der bereits im Vorfeld kontrovers diskutierten Plattform Instagram Kids wurde zunächst ausgesetzt, soll aber in Zukunft weiter verfolgt werden.

Der Konzern bemüht sich, einen besorgten und benutzerfreundlichen Eindruck zu vermitteln. Allerdings scheinen die Versprechungen und die neuen Features weniger überzeugend, bedenkt man, dass sie im Endeffekt nur dazu dienen, den von der Plattform selbst angerichteten Schaden zu begrenzen. Auch ist fraglich, ob es hierbei wirklich darum geht, den App-Nutzer*innen ein positives Erlebnis auf einer sicheren Plattform zu bieten, oder ob es nicht auch ganz stark darum geht, in Folge des Facebook Files-Skandals keine Abonnent*innen zu verlieren. Ist es überhaupt realistisch, dass alle Vorschläge und neuen App-Features umgesetzt werden – oder fungieren diese Ideen inklusive der Namensänderung nicht nur dazu, den Konzern nach dem Leak ins rechte Licht zu rücken?

In der Vergangenheit gab es mehrere Anhörungen vor dem US-Kongress – wie das Leak für Frances Haugen ausgehen wird, und ob dies tatsächlich etwas Positives für die User*innen bewirkt, wird die Zeit zeigen.

 

Was bedeutet das für deutsche Heranwachsende und den Jugendmedienschutz?

Momentan sind der deutschen Politik bei einer möglichen Regulierung solcher Wirkungen die Hände gebunden, da es derzeit keine EU-rechtliche Grundlage gibt, in US-Unternehmen hineinzuwirken, auch wenn deren Anwendungen auf dem deutschen und internationalen Markt zu nutzen sind – inklusive aller positiven wie negativen Folgen. Innerhalb der Europäischen Union sollen nun mit dem Digital Service Act neue und einheitliche Sicherheitsvorschriften für Onlineplattformen geschaffen werden, sodass über diese Art der Medienregulierung die Politik einen gewissen Einfluss auf Dienste wie Facebook und Instagram nehmen könnte. Das Gesetz ist jedoch noch nicht verabschiedet. Zudem bleibt es auch spannend abzuwarten, ob der zum Ende dieses Jahres geplante Entwurf zur JMStV-Novellierung dazu Stellung beziehen wird.

Damit Heranwachsende sich dieser Risiken bei der Nutzung von Medienintermediären bewusst werden, spielt die Stärkung der Medienkompetenz eine bedeutende Rolle und auch die Eltern sollten sich diesen Themen nähern. So können sich Erziehende u.a. in Beratungsstellen Tipps geben lassen oder sich in den vielen virtuellen Elternabenden informieren bzw. das Gespräch suchen. Schließlich ist das Interesse an der Mediennutzung des Kindes und der offene Austausch darüber der beste Weg, um zu erfahren, welche Art von Erfahrungen hier gemacht werden und ob Hilfebedarf besteht.

 

Weiterführende Links

 

Quellen

Alle Links zuletzt geprüft: 16. November 2021

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Jugendmedienschutz, Medienkompetenz, Medienbildung, Social Media

Über Carolin Schramm

Nach ihrem Bachelor in Europäische Medienwissenschaft vertieft Carolin ihr Interesse für Medien im Masterstudiengang Medienwissenschaft an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Privat engagiert sie sich ehrenamtlich, u.a. bei ArbeiterKind.de. Für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2021 darf sich die FSF über ihre Unterstützung im Rahmen eines Praktikums freuen.