Act on! # YouTube

5. Act On Short Report

Vorbilder 2.0

„Hi und ganz herzlich willkommen zu einem neuen Video von mir.“

Mit diesen Worten lässt Dagi Bee, professionelle YouTuberin, tausende Teenagerherzen höherschlagen. Dagi, die übrigens mit richtigem Namen Dagmara heißt, bespaßt ihre überwiegend weiblichen Zuschauerinnen bereits seit 2012 mit Schminktutorials, Comedyvideos oder sogenannten Real Talks. Das sind Gesprächsrunden, in denen ungeschönt und natürlich super ehrlich und authentisch über persönliche Lebenserfahrungen oder Meinungen gesprochen wird. Die Zuschauenden finden es super – vier Millionen Abonnenten hat Dagi Bee auf YouTube. Damit gehört die junge Frau in Deutschland zu den bekanntesten und beliebtesten YouTuber/-innen und damit zu den Stars und Vorbildern der heutigen Generation von Heranwachsenden.

Ohne Frage: YouTube ist aus dem Alltag heutiger Teens nicht mehr wegzudenken. Die Plattform hat sich im Laufe der Jahre zum Leitmedium für junge Menschen gemausert. Warum? YouTube überzeugt durch eine kostenlose Nutzung, Partizipationsmöglichkeiten, inhaltliche Themen von A bis Z und natürlich, fast noch wichtiger: durch hippe, authentische Leute, so wie Dagi, die dem Kanal Leben einhauchen, indem sie ihr persönliches Leben transparent machen und ihrem Publikum durch direkte Ansprachen das Gefühl geben: „Ich bin dein Freund, deine Freundin. Deine Meinung – Du bist mir wichtig!“

kon karampelas by unsplash
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ACT ON! aktiv + selbstbestimmt online

Seit mehreren Jahren schon untersucht das JFF im Rahmen des medienpädagogischen Forschungs- und Praxisprojekts ACT ON! das Onlinehandeln von Heranwachsenden im Alter von zehn bis 14 Jahren. Im fünften und damit aktuellsten Bericht wurde das Augenmerk auf die Plattform YouTube und ihre Bedeutung für 11- bis 14-Jährige gelegt und eines der zentralen Ergebnisse ist wohl kaum überraschend: Kinder und Jugendliche nutzen YouTube und insbesondere YouTube-Stars zur persönlichen Orientierung. Doch von vorne: was wurde überhaupt genau untersucht?

 

Was wurde genau untersucht?

Der 5. Act On Short Report beschäftigte sich unter anderem mit der Frage, welche Anreize die beliebte Onlineplattform jungen Usern gibt und welches Grundwissen sie über YouTube mitbringen. Methodisch wurde hierfür mit Gruppendiskussionen gearbeitet, in denen knapp 90 teilnehmende Kinder und Jugendliche ihre eigene, ganz persönliche Perspektive auf YouTube äußern konnten.

 

Oberste Regel: Netiquette!

Die Ergebnisse zeigen, dass ein Großteil der Kinder und Jugendlichen klare Vorstellungen über publikums- sowie kanal- und videobezogene Regeln auf YouTube hat. Entsprechend können sie auch konkrete Verstöße benennen, zu denen sie unter anderem Copyrightverletzungen, Plagiate oder auch rassistische oder sexistische Inhalte zählen. Zudem ist ein ehrlicher, freundlicher und vor allem respektvoller Umgang auf der Plattform eine der wichtigsten Grundregeln für Heranwachsende, die selbst auf YouTube unterwegs sind. Viele der befragten Kinder und Jugendlichen sind der Meinung, dass auch Kritik erlaubt sein sollte, so lange diese rücksichtsvoll und nicht absichtlich verletzend formuliert ist. Respektloses Verhalten und Beleidigungen werden als schwere Regelverstöße gesehen, die wie andere Verstöße ebenfalls Sanktionen nach sich ziehen sollten, so die Jugendlichen. Dennoch wird kritisiert, dass Sanktionierungen insgesamt eher kleine, unbekannte Kanäle und YouTuberinnen und YouTuber  treffen würden als große, reichweitenstarke Akteure.

ytcount by unsplash
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Die Traumvorstellung: mit einem kreativen Hobby viel Geld ohne möglichst viel Aufwand verdienen

YouTube-Stars, zu denen auch Dagi Bee gehört, werden mit großer Neugier und Aufmerksamkeit verfolgt. Es zeigt sich, dass viele der befragten Kinder und Jugendlichen bestimmte Lieblingsyoutuberinnen und -youtuber  haben, die für sie eine Art Vorbild sind. Sie werden für ihr Aussehen, ihre Kleidung, das Selbstbewusstsein, aber natürlich auch wegen ihres luxuriösen Lebensstils und ihres scheinbar grenzenlosen Leistungsvermögens bewundert und als Inspirationsquelle bezeichnet. Die Inspiration geht dabei sogar so weit, dass einige Heranwachsende sich selbst als Darstellende auf YouTube versuchen. Primär, weil sie sich ebenfalls die Aufmerksamkeit und das tolle Leben ihrer YouTube-Größen erhoffen. Die Traumvorstellung: mit einem kreativen Hobby viel Geld ohne möglichst viel Aufwand verdienen. Einige der befragten Kinder und Jugendlichen haben jedoch selbst schon recht schnell erleben müssen, dass dies oftmals leichter gedacht als getan ist.

 

 „Sie ist geldgierig. Sie hat sich einen Hund geholt, um fame zu werden.“

Dass es YouTuber/-innen insbesondere um Aufmerksamkeit, Klicks und eine hohe Bekanntheit geht, ist den jungen Studienteilnehmenden  durchaus bewusst. Darüber hinaus durchschauen sie, dass es vielen YouTuber/-innen letztendlich darum geht, mithilfe einer hohen Reichweite Geld zu verdienen. Entsprechend werden konkrete Strategien benannt, mit denen YouTuber mehr „fame“ bekommen, also bekannter werden und mehr Zuschauende gewinnen. Dazu gehören Verlosungen, Videokooperationen mit anderen YouTuberinnen und YouTubern, Clickbaits, aber auch das Einbeziehen von Familie oder Haustieren in den jeweiligen Videos, so wie Dagi Bee das mit ihrer jüngeren Schwester und ihrem kleinen Hund Zula ganz gerne mal macht. Eine ungeschönte Zuschauerinnenreaktion darauf: „Sie ist geldgierig. Sie hat sich einen Hund geholt, um fame zu werden.“ Dennoch zeigt sich, dass die kommerzielle Ausrichtung der Plattform bis auf wenige Ausnahmen kaum kritisiert oder negativ bewertet wird. Vor allem bei ihren Lieblingsyoutube-Persönlichkeiten rechtfertigen die Heranwachsenden Produktplatzierungen, Werbung und Co. mit der Aussage, dass sich der Aufwand und die tolle Aufmachung des Videos ja lohnen muss.

 

Trotz positiver Erkenntnisse gibt es durchaus noch Handlungsbedarf

Was bleibt zu schlussfolgern? Insgesamt ist positiv hervorzuheben, dass die meisten Kinder und Jugendlichen ein umfangreiches Wissen über die Plattform und ihre Regeln sowie einen kritischen Blick auf den Umgang und das Miteinander auf YouTube haben. Dennoch sollte von Seiten der Plattform daran gearbeitet werden, die Durchsetzung von Sanktionen bei Regelverstößen transparenter und verständlicher zu gestalten. Somit könnte gewährleistet werden, dass sich bei Heranwachsenden zukünftig nicht der Eindruck verfestigt, dass mit Regelverstößen inkonsistent umgegangen wird.

Eine weitere positive Erkenntnis ist, dass der kommerzielle Charakter auf YouTube und damit die Gewinnorientierung und monetären Strategien einiger YouTuber/-innen durchaus durchschaut werden. Schließlich wird der jungen Generation nicht selten nachgesagt, sie sei in ihrer Rezeption zu naiv und leichtgläubig. Dennoch zeigt sich, dass Heranwachsende durch die kommerzielle Ausrichtung weniger abgeschreckt, sondern vielmehr motiviert werden, selbst einen YouTube-Kanal zu führen. Die Konsequenz: unrealistische Erfolgsvorstellungen, die recht schnell enttäuscht werden. Die relativ kritiklose Einschätzung der Kommerzialisierung auf YouTube trägt nach Auffassung der Autorenschaft zudem das Risiko in sich, dass sich junge Menschen zu leicht und schnell in ihren Konsumwünschen und Kaufentscheidungen beeinflussen lassen. Hier ist es wichtig, die kritische Reflexion des jungen YouTube-Publikums noch stärker zu fördern.

YouTube-Stars bieten Orientierung und Inspiration, was gerade für junge Menschen in der Pubertät einen wichtigen Stellenwert einnimmt. Dennoch sollten Meinungen, Ansichten oder auch Empfehlungen – egal ob zu bestimmten Beautyprodukten, Spielen oder aktuellen Ereignissen nicht einfach unreflektiert übernommen werden. Vielmehr, so argumentiert das Autorenteam der Studie, bietet es sich im pädagogischen Kontext an, Videoinhalte und YouTube-Vorbilder aufzugreifen, um Kinder und Jugendliche in ihrer persönlichen Selbst- und Wertereflexion zu unterstützen.

 

Quellen:

Alle Links wurden zuletzt am 27.01.2020 aufgerufen.

Über Lena Wandner

Lena Wandner studierte Kommunikationswissenschaft und Romanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Kinder- und Jugendmedien an der Universität Erfurt. Ihr Interesse gilt insbesondere der Medienwirkungsforschung und dem Jugendmedienschutz, weswegen sie sich auch für ein Praktikum bei der FSF entschied, zeitweise als freie Blogautorin arbeitete und in 2020 als Social-Media- und Bogredakteurin für die FSF tätig war.