„Diversität ist nicht nur ein Aushängeschild, sondern es geht um echte Teilhabe.“

Sommerforum Medienkompetenz 2021:
Vielfalt erzählen. Repräsentation gesellschaftlicher Realitäten in den Medien

 

Der Juni wird weltweit im Zeichen der Regenbogenflagge als Pride Month gefeiert. In den Sozialen Medien dreht sich unter dem Hashtag #pridemonth alles um Vielfalt und Diversität, während Filme und Serien längst nicht so bunt sind, wie sie es sein könnten. Beim diesjährigen Sommerforum Medienkompetenz, veranstaltet von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) und der FSF in Kooperation mit ALEX Berlin, wurde darüber gesprochen, ob und inwiefern Diversität in Medien abgebildet wird und an welchen Punkten noch gearbeitet werden muss.

Auch dieses Sommerforum wurde ohne Publikum digital übertragen, und während einige Teilnehmende per Videokonferenz zugeschaltet wurden, konnten andere lebhaft in Präsenz im Studio von ALEX Berlin diskutieren.

 

Wie können wir bestehenden Klischees trotzen?

Die erste Gesprächsrunde drehte sich um die Frage, welche bestehenden Klischees es gibt und wie dagegen gearbeitet werden kann. Dr. Jens Förster, Professor für Sozialpsychologie und Direktor des Systemischen Instituts für Positive Psychologie, betont die Unterscheidung zwischen bewussten und unbewussten Diskriminierungsprozessen. Um aufzuzeigen, dass fast jeder Mensch unbeabsichtigt stereotypisiert, nennt er beispielsweise einen blassen und dünnen Computernerd oder eine Oma im Häkeljäckchen – unsere Vorstellung von diesen Figuren ist oftmals sofort durch Stereotype gezeichnet. Drehbuchschreibende sollten auch Nebenrollen realitätsgetreu zeichnen, auch wenn sie „nur Nebenfiguren“ sind und nicht im Fokus stehen. Denn, so Förster, was im Fernsehen abgebildet wird, das setzt sich im Gehirn fest – vor allem bei Kindern. Wenn Kinder immer nur weiße Oberärzte in Filmen und Serien sehen, dann manifestiert sich das Stereotyp. Demnach ist es also umso wichtiger, mit den Klischees zu brechen, damit sie nicht weiter reproduziert werden.

 

Diversität sollte nicht immer thematisiert werden

Die wichtige Erkenntnis liegt, so Franziska Wagner (M.A.), darin, Diversität nicht immer zu thematisieren. Eine homosexuelle Figur kann doch auch mal eine unbedeutende Nebenrolle spielen, ohne dass ihre Sexualität eine große Bedeutung für die Erzählung hat. Wagner promoviert an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und beschäftigt sich mit Medien(theorie), Queerness, Gender und Race. Für sie bedeutet Vielseitigkeit in Medien nicht einfach nur „Checkbox“-mäßiges Abhaken von queeren Figuren, sondern eine tiefere Auseinandersetzung mit der Thematik und die Berücksichtigung von Intersektionalität, d.h. alle Diskriminierungsebenen zu betrachten, denen jemand ausgesetzt sein könnte. Diese tiefere Auseinandersetzung beginnt für sie schon im Team: je vielfältiger das Produktionsteam ist, desto vielfältiger kann auch das Produkt sein. Diese Repräsentation von Diversität sollte aber nicht das Ziel sein, sondern hauptsächlich ein Werkzeug, um das gesellschaftliche Bewusstsein für die tatsächlich existierende Diversität zu fördern.

FSF-YouTube-Kanal vom 11. Juni 2021: Mitschnitt des Sommerforums Medienkompetenz 2021

 

Einfach mal machen: vielfältige Geschichten erzählen

In der zweiten Runde kamen drei Gäste im Studio zusammen, die sich alle praktisch mit vielfältiger Produktion beschäftigen.

Leonard Grobien, Drehbuchautor, Regisseur und Studierender an der ifs internationale filmschule köln, möchte mit seinen Filmen eine buntere Welt schaffen, indem er sie auch so abbildet, wie sie ist. Grobien hat von Geburt an Glasknochen und kennt sich mit Inklusion und Behinderungen aus. Dass sich Leute zum Filmemachen häufig wegen dieser „vermeintlichen Profession“ an ihn wenden, sieht er zwar als Chance: so wird die Regie wenigstens mit jemandem besetzt, der sich mit der Thematik auskennt, und diesen Wert kann er für sich und für die Gesellschaft nutzen, um der vielseitigen Realität mehr Raum zu geben. Grobien möchte aber prioritär mit seinen Filmen dem Kreislauf entgegenwirken, dass die Form von Medien, die die breite Masse fordert, alle Aufmerksamkeit und Reichweite bekommt und so wiederum bestimmt, was als nächstes kommt.

Den Fokus auf vielfältige und komplexe Gesellschaftsformen legt auch Sheri Hagen bei ihren Produktionen. Sie ist Schauspielerin, Regisseurin und Gründerin der Produktionsfirma Equality Film GmbH. Auch für sie ist unverständlich, warum wir in der Realität so viele verschiedene Menschen sehen, während im Fernsehen kaum etwas von dieser Vielseitigkeit abgebildet wird. Wenn Schwarze in einem Film mitspielen, dann sollte das nicht direkt als „besonders“ oder „bunt“ angesehen werden, sondern als die einfache Realität.

 

Entscheidend ist: Wer trifft die Entscheidungen?

Auch Hagen betont die Bedeutung derjenigen, die in Entscheidungspositionen sind: oftmals sehen sie den Film aus einer voreingenommenen Perspektive, sodass Schwarzsein eben nicht nur nebenher erzählt wird, und es fehlt die Selbstverständlichkeit der Diversität.

An dieser Stelle kommen Menschen wie Raquel Kishori Dukpa ins Spiel. Sie ist Community Casterin und Teil des Filmkollektivs Jünglinge und steht für diskriminierungskritisches Casting. Bei ihrer Arbeit möchte sie Rollen auch dorthin bringen, wo Menschen vielleicht weniger Zugang zu Castingausschreibungen haben. Dass queere Figuren oft von straighten Personen gespielt werden, muss beispielsweise nicht zwingend sein. Natürlich soll niemand zum Outing gezwungen werden, aber man kann zumindest mit allen Menschen in einen Dialog treten. Zu berücksichtigen ist auch der Zugang zum theoretischen Filmwissen: wer kann Film studieren, und noch wichtiger, wer kann lernen, wie man einen diskriminierungskritischen Film produziert? Das Filmstudium sollte ihrer Meinung nach breiter ausgelegt und leichter zugänglich sein, damit sich alle verwirklichen können.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Alle Bilder: Sommerforum Medienkompetenz am 10. Juni 2021 im Studio von ALEX Berlin © sh/fsf

 

Die Prägung von Weltbildern beginnt schon im Kindesalter

Die abschließende Diskussionsfrage drehte sich um die Maßnahmen, die ergriffen werden sollten. Wo setzt man an, um Stereotype zu durchbrechen? Grobien, Hagen und Dukpa sind sich einig, dass die Veränderung schon früh beginnen muss. Filmschulen sollten ermöglichen, dass jeder Mensch seine Geschichten erzählen kann; Schulen sollten klarer vermitteln, dass Medien Selbstbilder schaffen und beeinflussen, und sogar im Kindergarten kann schon vorgebeugt werden. Wenn wir von klein auf vielseitige Geschichten hören, diverse Erzieherinnen und Erzieher haben und kulturell unterschiedlichste Gerichte essen, dann weitet das auch unsere Sicht auf die Vielseitigkeit dieser Welt.

 

#medius

Im Anschluss an das Sommerforum Medienkompetenz fand die Preisverleihung des medius statt, der zum dreizehnten Mal innovative Abschlussarbeiten im Bereich Medien würdigt. Ausgezeichnet wurden vier Arbeiten, wovon eine thematisch besonders gut in den Rahmen des Sommerforums passte: Antonia Zerres und Anna Seikel schrieben gemeinsam über Sex Education und wie junge queere Erwachsene das Internet zur Aufklärung nutzen. Wer die anderen drei Gewinnerinnen sind, können Sie hier nachlesen. Die Abgabefrist für den medius 2022 läuft bis zum 31. Januar 2022.

FSF-YouTube-Kanal vom 11. Juni 2021: medius-Preisverleihung 2021

Durch den Nachmittag moderierte Teresa Sickert (Moderatorin von „Breitband“ beim Deutschlandfunk Kultur).

Weitere Informationen zum Sommerforum erhalten Sie auf unserer Website. Dort können Sie auch die Pressemitteilung zur medius-Preisverleihung nachlesen. Bei Interesse an weiteren Texten zu Veranstaltungen der FSF klicken Sie einfach auf nachfolgende Links: Sommerforum Medienkompetenz, #sofo, #medius oder zu anderen Tagungsberichten.

***

Das Sommerforum Medienkompetenz ist eine Veranstaltungsreihe von FSF und Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) in Kooperation mit ALEX Berlin.

Über Lea Gangloff

Lea Gangloff studierte in Tübingen Germanistik und Anglistik und ist nun im Masterstudium für Literatur und Medien. Durch ein Praktikum kam sie zur Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen und arbeitet jetzt als Werkstudentin bei der FSF.