Mit dem Prozessauftakt am 21. Juli 2020 gegen Neonazi und Attentäter Stephan Balliet, der im Oktober vergangenen Jahres einen rechtsterroristisch motivierten Anschlag auf die Gläubigen einer Synagoge in Halle verübte, wird in den Medien und der Öffentlichkeit erneut der Diskurs über die Verbreitung von Rechtsextremismus im Internet angestoßen. Balliet, der seine Tat auf dem Live-Streaming-Videoportal Twitch veröffentlichte, erschoss zwei Menschen auf der Straße, nachdem das geplante Massaker auf die jüdische Glaubensgemeinde misslang. Der Fall des 28-Jährigen ist nach den Attentaten in Christchurch und El Paso nicht der erste, der uns die zunehmende Radikalisierung der rechten Szene in sozialen Netzwerken so alarmierend vor Augen führt.
Dabei werden die medialen Kommunikationsstrategien der Rechtsextremen immer perfider und verlagern sich nach und nach in die dunklen Sphären von Onlineplattformen und Messengerdiensten wie Telegram, Facebook und YouTube. Das sog. „Dark Social“ wird zum primären Aktionsfeld der Rechtsradikalen: Hier verbreiten sie hetzerische Propaganda, schüren Hass gegenüber Juden und Menschen muslimischen Glaubens und adressieren Jugendliche zielgruppengerecht in ihren digitalen Lebenswelten.
In der Studie Rechtsextremismus im Netz verzeichnet jugendschutz.net 1.401 Fälle von rechtsextremen Angeboten im Netz zwischen 2018 und 2019 – über 90% davon sind in sozialen Netzwerken angesiedelt. Die häufigsten Verstöße machen Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung aus. Insgesamt wurden 2.248 Maßnahmen eingeleitet, die in 80% der Fälle eine Löschung oder Sperrung der betreffenden Posts bzw. Accounts erwirkten.
Die Facetten der rechtsextremen Online-Subkultur
Rechtsextreme Propaganda im Netz zeigt sich in vielfältigen Dimensionen – was sie alle vereint ist eine rassistische und diskriminierende Grundhaltung. Das Werkzeug der rechten Akteure ist der Hass: Mithilfe von gezielter Desinformation (Fake News), menschenverachtenden Hasskampagnen und Verschwörungsnarrativen werden einzelne Bevölkerungsgruppen als Feindbilder stigmatisiert und explizit zu Gewalt an ihnen aufgerufen. Im Mittelpunkt der Verachtung stehen dabei vor allem Juden, Musliminnen und Muslime sowie Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund. So normalisiert sich antisemitischer und antimuslimischer Rassismus durch seine Omnipräsenz in rechten Netzwerken zunehmend und inszeniert Menschenfeindlichkeit als gesellschaftsfähig.
Zu den gängigen Narrativen des Rechtspopulismus zählen die Leugnung des Holocausts und das Gleichsetzen aller Menschen muslimischen Glaubens mit islamistischen Gruppierungen durch gezieltes Einsetzen gewaltvoller Bilder und Videos. Auch die Bevölkerungsgruppen der Sinti und Roma sind Zielscheibe der rassistischen Hetze: Neben herabwürdigenden, antiziganistischen Online-Angriffen werden Sinti und Roma häufig Opfer von verbaler Gewalt in den Kommentarspalten von Facebook-Beiträgen und YouTube-Videos.
Im Schatten der medialen Öffentlichkeit: Ausweichplattform „Dark Social“
Die erfolgreiche massive Verbreitung rechtsextremer Inhalte ist der geschickten Verlagerung der Onlinepropaganda in die „dunkleren“, weniger öffentlichen Dimensionen des Internets geschuldet: dem „Dark Social“. Geschlossene Gruppen, geheime Chats und zugängliche Kanäle auf sozialen Netzwerken und Nachrichtendiensten bugsieren das Handlungsfeld der Identitären und Rechtsradikalen an den Rand der klassischen Öffentlichkeit. Vor allem der Instant-Messaging-Dienst Telegram strebt seit einiger Zeit zur zentralen Plattform für rechte Hetze auf: jugendschutz.net identifiziert in ihrer Studie über 300 extreme Gruppen und Kanäle auf Telegram. Die reichweitenstärksten Channels verschreiben über 35.000 Mitglieder, was die Plattform zu einem mächtigen Werkzeug der rechtsextremen Netzwerkkommunikation macht.
Kommentarfunktion, Re-Posts und plattformübergreifende Verlinkungen: Das Medium bietet eine attraktive Bandbreite an Nutzungsmöglichkeiten, niedrigschwelligen Einstieg und sorgt für massenhafte Verbreitung. Über exklusive Einblicke in das angebliche Privatleben der rechtsextremen Social-Media-Persönlichkeiten und Mitmachkampagnen wird Nähe suggeriert. Das erzeugte Gefühl der Exklusivität stärkt besonders bei jungen Menschen die Authentizität und Vertrauenswürdigkeit der Akteure. Problematisch ist vor allem, dass sich die Rechtsextremen bei Telegram und WhatsApp größtenteils in einem vermeintlich rechtsfreien, der Öffentlichkeit verborgenen Raum befinden und außerhalb der Schutzmaßnahmen von Plattformbetreibenden wirken können – und genau dessen sind sie sich bewusst. Daher wird vor tendenziösen Aussagen, Gewaltanstachelungen und Todeswünschungen gegenüber Juden und Menschen muslimischen Glaubens nicht zurückgeschreckt.
Jugendliche als Zielscheibe rechter Propaganda
Warum ist besonders die Jugend gefährdet? Die rechtsextreme Szene hat in ihrer ausgeklügelten Medienstrategie vermehrt die Zielgruppe junger Menschen im Visier. Die stark medial geprägten Lebenswelten der Jugendlichen bieten den Rechtsextremen eine große Angriffsfläche für ihre Propaganda. So werden aktuelle Onlinetrends der Heranwachsenden gezielt genutzt, um junge Generationen mit ideologischer Desinformation und Verschwörungstheorien zu füttern.
Als Witz verpackter Antisemitismus: In Telegram-Kanälen kursieren verhetzende Memes (Internethumor in Form von Bild-Posts mit Text), die Juden entmenschlichen und den Holocaust verharmlosen.
Identitäre „Erziehung“: Rechtsextreme Internetakteure greifen zentrale Themen der jugendlichen Identitätsbildung auf, um junge Menschen bereits früh in die Richtung ihrer rechten Ideologie zu drängen. Insbesondere in Bezug auf Geschlechtsidentitäten und Rollenbilder sollen die Heranwachsenden bewusst auf das Verständnis einer zweigeschlechtlichen Gesellschaft gelenkt werden – so dominieren auch antifeministische und homophobe Aussagen unter den Onlinemessages der rechtsextremen Szene.
Rechter Rap statt Rechtsrock: Als fester Bestandteil der Jugendkultur soll Rapmusik die mit subtilen Hasstiraden und Gewaltverherrlichung gespickten Songs gezielt unter jungen Menschen populär machen. Die heutige Cross-Medialität von Onlinenetzwerken katapultierte den rechtsextremen Rapper Chris Ares bereits in die Streamingcharts von Musikplattformen.
Die Gefahr für junge Userinnen und User liegt besonders in ihrer Unbedarftheit, was die wahren Hintergründe der propagandistischen Aussagen anbelangt. Einmal in den Fängen der rechtsextremen Onlinecommunity werden Jugendliche über zahlreiche tägliche Pushnachrichten konstant mit Szene-News versorgt, sodass ein schnelles Abdriften in radikale Sphären drohen kann.
Schutz vor Rechtsextremismus im Netz – Was können Eltern tun?
Der Soziologe und Referent für Rechtsextremismus bei jugendschutz.net Flemming Ipsen rät Eltern bei der Aufklärung ihrer Kinder zu rechter Propaganda im Internet vor allem drei Dinge: Dialog, Aufgeschlossenheit und Wachsamkeit. Ipsen betont, dass eine verstärkte und offene Kommunikation über die Onlineaktivitäten des Kindes grundlegend wichtig seien. Er mahnt zudem vor verteufelnden Einstellungen gegenüber Neuen Medien und rät stattdessen zu einer aufgeschlossenen Haltung vor den aktuellen Trends der digitalen Jugendkultur: „Für manche Eltern ist das Internet ja vielleicht auch eine fremde Welt“. Eltern sollten jedoch wachsam gegenüber möglichen manipulierenden Persönlichkeiten und Gruppierungen aus der rechtsextremen Szene auf den beliebten Social-Media-Plattformen ihrer Kinder sein. Für den Fall, dass sie Tendenzen von Rassismus oder Antisemitismus in Aussagen ihrer Kinder vernehmen, hilft gezieltes Nachfragen und eine offene Ansprache der Thematik bei der Aufklärung. Im Allgemeinen rät der Soziologe zu einer umfassenden Sensibilisierung von Jugendlichen für Hass und Hetze im Internet.
Die Website SCHAU HIN! empfiehlt ebenfalls, junge Menschen auf den möglichen Kontakt mit Hassnachrichten, Fake News und Verschwörungstheorien im Netz vorzubereiten und ihr Selbstbewusstsein zu stärken, damit ein Distanzieren von extremen Inhalten leichter fällt. Wichtig ist außerdem, eine kritische Sichtweise für die Quellen hinter Social-Media-Posts zu fördern. Die Amadeu Antonio Stiftung hat in einem ausführlichen Bericht hilfreiche Handlungsempfehlungen zum Umgang mit rechtsextremen politischen Gruppierungen wie der AfD in Deutschland zusammengetragen. Darin wird betont, dass zusätzlich zur Aufklärung innerhalb der Familie auch im schulischen Betrieb eine Förderung der Medienkompetenz großgeschrieben werden sollte. So können sich Kinder und Jugendliche für eine Begegnung mit Rechtsextremismus im Internet gewappnet fühlen.
Tipps:
- Ausführliches Interview mit dem Soziologen Flemming Ipsen: „Für manche Eltern ist das Internet ja vielleicht auch eine fremde Welt“
- Zum Umgang mit Hass im Netz bei Schau hin: Hate Speech: Tipps gegen Hass im Netz
- Handlungsempfehlungen der Amadeu Antonio Stiftung zum Umgang mit der AfD: Demokratie in Gefahr
Quellen:
- spiegel.de vom 21.07.2020: Rechtsextreme auf Social Media. „Für manche Eltern ist das Internet ja vielleicht auch eine fremde Welt“.
- welt.de vom 21.07.2020: Halle-Anschlag: Angeklagter nutzt Gerichtssaal als Bühne
- jugendschutz.net, Bericht 2018/2019: Rechtsextremismus im Netz
- schau-hin.info: Hate Speech: Tipps gegen Hass im Netz
- hass-im-netz.info: Telegram: zwischen Gewaltpropaganda und „Infokrieg“
- amadeu-antonio-stiftung.de: Demokratie in Gefahr – Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD