Offensichtlich ansteckend …

Coronapandemie könnte auch ein Verstärker von Cybermobbing sein

Ergebnisse der aktuellen Studie Cyberlife III des Bündnisses gegen Cybermobbing unter der medienpädagogischen Lupe

 

Cybermobbing, das systematische Ausgrenzen, fertig machen und verletzen anderer Personen im virtuellen Raum, hat einen neuen Negativtrend erreicht. Das zeigt die aktuelle Folgestudie des Bündnisses gegen Cybermobbing, die im Dezember 2020 in Zusammenarbeit mit der Techniker Krankenkasse veröffentlicht wurde. Dabei wurden 1.077 Eltern, 377 Lehrkräfte und 4.418 Schülerinnen und Schüler befragt. Das Forschungsteam nimmt nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch Eltern und Lehrkräfte in den Blick. Das ist der richtige Ansatz, denn Cybermobbing „ist ein komplexes Konfliktgeschehen, zu dessen Entstehung und Aufrechterhaltung viele Akteure – Individuen wie soziale Systeme – beitragen.“ Die Studie wurde nach 2013 und 2017 bereits zum dritten Mal durchgeführt und bietet einen spannenden Einblick in die Entwicklung von Cybermobbing in Deutschland. So hat sich zum Beispiel die Zahl der Betroffenen in 2020 mit 17,3% im Vergleich zu 2017 (12,7 %) deutlich erhöht. 2013 waren es 16,6 %. In 2020 sind das – in absoluten Zahlen auf Deutschland umgerechnet – fast zwei Millionen Heranwachsende. Auf eine Schulklasse heruntergerechnet sind das ca. 5 Kinder pro Klasse.

 

Ist Corona ein Brandbeschleuniger bei Cybermobbing?

Die Forschenden vermuten, dass auch Corona eine Rolle bei der Zunahme der Fallzahlen spielt: durch die soziale Isolation im Zuge von Lockdown und Schulschließungen hat sich nicht nur die Mediennutzung Heranwachsender intensiviert (was auch Studien wie die JIMplus 2020 belegen), sondern auch die Wahrscheinlichkeit, von Cybermobbing betroffen zu sein. Jugendliche bewegen sich vermehrt ohne institutionelle Unterstützung in den digitalen Lebenswelten und Sozialkontakte finden (fast) ausschließlich dort statt.

Daneben schafft die Pandemie auch anderweitig Angriffsfläche: durch die Kontaktbeschränkungen sind die Befragten weniger zufrieden und somit verletzlicher, wenn sie von Attacken im Netz betroffen sind. Außerdem macht die Studie die Überforderung der Eltern und Rückschritte in der Präventionsarbeit sichtbar – was sicherlich auch im Zusammenhang mit Corona steht. Fest steht: Die Bedingungen der Pandemie schaffen weiteren Nährboden für Isolation, Hass und Gewalt – und Heranwachsende sind mit dem Problem so allein wie nie zuvor.

Trauriger Junge vor einer Steinwand – Kopf auf den angezogenen Knien gesenkt – gerahmt von einem Smartphone; Bild von un-perfekt auf Pixabay
Pixabay: Bild von un-perfekt

Die elterliche Überforderung steigt – der eigene Handlungsbedarf wird nicht erkannt

Das auf den befragten Eltern lastende Gefühl der Überforderung in Sachen Medienerziehung ist im Vergleich zu 2017 nochmal gestiegen. 82% haben den Eindruck, dass diese erzieherischen Aufgaben immer schwieriger zu bewältigen sind. Umso paradoxer sind diese Zahlen: Auf der einen Seite nehmen die befragten Eltern Cybergewalt in hohem Maße als Problemlage wahr, und sehen auch die damit verbundenen Gefahren für ihre Kinder. Auf der anderen Seite werden institutionelle Maßnahmen an Schulen zu Themen wie Cybermobbing nur in begrenztem Maße wahrgenommen. Die Eltern wünschen sich zwar mehr Unterstützungsformen – sehen diese aber offensichtlich nur im Rahmen der Schule, im Unterricht oder durch die Politik initiiert, z.B. durch Gesetze. „Schulen sollen ihr Angebot an Aktivitäten weiter optimieren“, heißt es. Was damit nicht erkannt wird: ihr, liebe Eltern, braucht Know-how, um eure Kinder kompetent begleiten zu können.

 

Prävention nimmt ab und wird kaum wahrgenommen

Obwohl es einen Anstieg an Cybermobbing-Fällen gibt, nimmt die wahrgenommene schulische Präventionsarbeit ab. Präventionsmaßnahmen werden im Vergleich zu 2017 deutlich weniger häufig durchgeführt, dasselbe Bild zeichnet sich bei der Informations- und Aufklärungsarbeit mit Eltern und Heranwachsenden – auch die nimmt trotz der erhöhten Betroffenheit ab. Der Kenntnisstand der Eltern ist ernüchternd: 35-43% der Befragten wissen nicht, ob es entsprechende Hilfsangebote an den Schulen gibt. Dabei kann man mit zeitlich und inhaltlich aufeinander abgestimmten Maßnahmen eine erfolgreiche Anschlusskommunikation zuhause erreichen. Grundschulen stellen übrigens am seltensten Informationen bereit, dabei wird hier der Nährboden für einen medienkompetenten Umgang geschaffen. Davon abgesehen, dass hier bald jedes 10. Grundschulkind betroffen ist.

 

Verantwortungsdiffusion zwischen Eltern und Lehrkräfte?

Ohne die Lehrkräfte geht es nicht, das wissen wir. Umso ernüchternder sind die Zahlen der Studie: Die Fremd- und Selbsteinschätzung der Lehrkräfte zum Wissen über Cybermobbing differiert stark. Cybermobbing ist zwar fast allen Lehrkräften ein Begriff, aber deutlich ausbaufähig ist das Fachwissen – und wahrscheinlich auch das konkrete Handlungswissen. Die Einschätzung, das Kollegium verfüge über gutes Wissen, ist im Vergleich zu 2017 sogar gesunken. Dagegen gehen die Eltern von einem guten Kenntnisstand der Lehrkräfte aus. Das klingt für mich irgendwie nach Verantwortungsdiffusion.

 

Eltern in die Pflicht nehmen mit niedrigschwelliger, alltagstauglicher Präventionsarbeit!

Also: was brauchen Erwachsene, damit sie die Überforderung proaktiv angehen können? Sie müssen sich ihrer Verantwortung als Vorbilder bewusst werden – und erkennen, welche Auswirkungen große Wissenslücken auf die Beziehung zu ihren Kindern und zur Schülerschaft haben. Kinder wenden sich mit Anliegen zu Cybermobbing nicht an Eltern oder Fachkräfte, wenn sie annehmen müssen, dass die ihnen mangels Wissens und Empathie nicht helfen können. Erwachsene brauchen also leicht zugängliches Wissen und niedrigschwellige und alltagstaugliche Präventionsangebote. Die Arbeit mit und für Eltern und Lehrkräfte rund um das Thema darf in diesen Zeiten nicht pausieren, sondern muss sogar intensiviert werden, damit Ängste abgebaut werden können. Es geht nicht darum, Experte zu werden – aber gemeinsames Wissen ist ein Muss. Das zeigt die Studie deutlich!

 

Schlanker Online-Abendimpuls statt schnöder Elternabend

Ein Vorschlag als allererster Schritt: steigt auf online um – zusammen mit dem Kollegium. Ja, alle gehen online. Und ja, nach einem Tag voller Homeschooling und Homeoffice ist der Ofen oft aus. Das geht den Eltern ebenso wie den Lehrkräften. Aber die Studie zeigt einmal mehr, dass solche Angebote nötig sind – und es ist unsere Pflicht, aktiv zu werden. Einige Probleme des klassischen Elternabends werden gleich mit umschifft: Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob Mama gehen muss, oder Papa auch mal mitkommt – beide können teilnehmen. Eltern, die kleine Kinder daheim haben, brauchen keine Kinderbetreuung mehr. Man kann es sich ein bisschen gemütlich machen, zuhören und dabei etwas richtig Wichtiges lernen: Zusammen schaffen wir das! Lasst eure Kinder nicht allein – setzt euch für respektvolles Miteinander ein. Seid da – egal ob als Profi und/oder als Mensch.

 

Fazit – es gibt noch viel zu tun!

Am Ende offenbart die Studie eine einfache wie plausible Rechnung: Die Erwachsenen sind gefragt! Je offensiver Schule sich dem Thema stellt und dazu arbeitet, je mehr Präventionsarbeit geleistet wird, und alle Gruppen sensibilisiert und aufgefordert sind, desto größer ist das Problembewusstsein gegenüber Cybermobbing. Je mehr Eltern sich ihrer Verantwortung bewusst werden, und gemeinsam mit Schule das Thema zu einem Teil der Schulkultur machen, desto mehr profitieren am Ende die Heranwachsenden davon – denn sie sind von kompetenten Erwachsenen umgeben. Da gibt es noch einiges zu tun. Gehen wir es an!

 

Quellen und weiterführende Links:

Aktuelle Anlaufstellen und Ideen zur Weiterarbeit vom EU-Projekt klicksafe

Alle Links zuletzt geprüft am 09. Februar 2021

Über Eva Borries

Eva Borries ist Diplom-Medienpädagogin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Empirische Pädagogische Forschung (zepf) an der Universität Landau. Außerdem arbeitet sie deutschlandweit als Referentin für Medienkompetenz. Sie entwickelt individuelle medienpädagogische Fortbildungen, Vorträge und Workshops: Webseite Eva Borries.