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»Ich habe doch nichts zu verbergen.«

 

Ein Satz, den man in Bezug auf Datenschutz immer wieder hört. Datensicherheit im Internet scheint für viele Nutzer*innen nur in bestimmten Situationen relevant. Die eigenen Kontodaten herausgeben? Lieber nicht. Suchanfragen, Cookies und Browserverlauf – kein Problem –, oder?

Eine einzelne Suchanfrage sagt meist wenig über eine Person aus. Über die Zeit können Anbieter wie Google und Co. jedoch schier unendliche Datenmengen über uns sammeln – oft ohne, dass wir es merken. Welche tiefen Einblicke in unser Privatleben diese gesammelten Daten geben könnten, zeigt der Film Made to Measure (2020). In einem ebenso beeindruckenden wie beunruhigenden Experiment gelang es Laokoon, einer Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern (Berlin/Wien), das Leben einer Person allein anhand ihrer von Google zusammengetragenen Daten nachzustellen. Das Ergebnis ist gleichermaßen präzise wie erschreckend.

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ardmediathek.de: Interview mit Künstler*innen: ttt – titel, thesen, temperamente: Das Kunstprojekt „Made to Measure“

Im Sommer 2020 rief die Gruppe in einem Open Call auf Facebook Menschen dazu auf, ihre persönlichen Datensätze bei Google anzufordern und diese für ein Experiment zur Verfügung zu stellen. Aus über einhundert Einsendungen wurde ein Datensatz ausgewählt, analysiert und mit Hilfe einer Schauspielerin und eines Filmteams zum Leben erweckt. Basierend auf einem „Drehbuch aus Daten“ entstand so Stück für Stück ein Film, der sehr intime Einblicke in das Leben einer Person gab, die zu diesem Zeitpunkt noch niemand aus dem Team jemals getroffen hatte. Die schlussendliche Begegnung zwischen der Datengeberin und der Schauspielerin als ihrer Daten-Doppelgängerin offenbarte eine faszinierende wie auch ungeheure Ähnlichkeit zwischen realem Leben und Datenwelt.

Made to Measure rückt Prozesse ins Licht, die täglich millionenfach im Verborgenen ablaufen. Die Abläufe und Strukturen der Datenzusammenstellung und -verarbeitung von Google, Facebook und Co. sind so intransparent, dass vielen Nutzer*innen nicht bewusst ist, was genau überhaupt mit ihren Daten passiert und welchen Einfluss dies auf sie haben kann.

Ein Beispiel, das viele wohl nur zu gut kennen: man sucht etwas bei Google und schon wird man mit Werbung zu mehr oder weniger passenden Produkten überhäuft. Ist dies mittlerweile für viele Nutzer*innen bereits zu durchschauen, so verdeutlicht es doch auch, dass der Zweck der Datensammlung und -verarbeitung vor allem eines ist: Kommerz: mit (persönlichen) Daten als Währung.
So werden beispielsweise beim sogenannten Real Time Bidding in Echtzeit Werbeplätze auf Websites und ggf. auch dazugehörige Daten von Nutzer*innen an Höchstbietende versteigert.

Aber kann uns das nicht egal sein? Immerhin bleiben die Angebote dadurch kostenlos und es muss ja niemand kaufen, was er nicht will – oder?

Das Gefühl der Kontrolle ist trügerisch. Die ständige Konfrontation mit personalisiertem Content, Werbung und vermeintlichen Idealen bleibt nicht ohne Konsequenzen. Besonders problematisch wird es bei Menschen, die sich in einer verletzlichen und leicht beeinflussbaren Situation befinden. So erzählt Made to Measure die Geschichte seiner Protagonistin, die an einer Essstörung litt und durch die Algorithmen von Google, Facebook, Instagram, YouTube und Co. immer tiefer in eine Spirale aus Schlankheitswahn und Diät-Werbung rutschte.

Dass es sich dabei nicht um einen bedauerlichen Einzelfall handelt, ist spätestens seit dem Leak interner Facebook-Dokumente durch deren ehemalige Mitarbeiterin Frances Haugen klar. Ihnen ist zu entnehmen, dass die Plattform Instagram, die zu Facebook gehört, insbesondere bei jungen Frauen und Mädchen einen negativen Einfluss auf das Körperbild und deren körperliche und mentale Gesundheit hat. Dem Unternehmen ist dies durchaus bewusst.
Personalisierter Content und sogenannte Filterbubbles beschränken zudem den Informationsfluss und haben damit einen enormen Einfluss auf die Meinungsbildung. Die Fähigkeiten der Algorithmen gehen jedoch noch weit darüber hinaus. Mit den erfassten Daten ist es ihnen u.a. möglich, Voraussagen über zukünftiges Verhalten oder Ereignisse zu treffen oder bspw. Personen, die in einer einkommensstärkeren Wohngegend leben, höherpreisige Produkte anzeigen zu lassen als Menschen, die in einkommensschwächeren Vierteln wohnen.

So dystopisch die massenhafte und globale Sammlung, Speicherung und Verarbeitung von Daten auf der einen Seite anmutet, so birgt sie doch auch positives Potenzial. Zum Beispiel könnten diese Prozesse dabei helfen, (psychische) Krankheiten zu erkennen, aufzuzeigen und Hilfe zu leisten. Als konkretes Beispiel nennt die Expertin für psychologisches Targeting Sandra Matz in Made to Measure die Möglichkeit, dass Apps bestimmte Informationen, wie beispielsweise einen eingeschränkten Bewegungsradius, verminderte Kontakte zu Freundeskreis und Familie und bestimmte Suchanfragen kombinieren und daraus das mögliche Vorliegen einer Depression erkennen könnten. Die App-Nutzenden und eventuelle Kontaktpersonen könnten in Folge dessen darüber aufgeklärt werden und Vorschläge zu Hilfsangeboten erhalten.
Auch im Bereich der Bildung könnten die Ergebnisse der Datenverarbeitung dabei helfen, Lernangebote speziell auf Schüler*innen zuzuschneiden und so eine individuelle Förderung innerhalb eines diversen Klassenverbandes zu ermöglichen.

Zahlencode auf PC über Frau projiziert; Foto von ThisIsEngineering von Pexels
Foto von ThisIsEngineering von Pexels

Ob der Zweck der Datenerfassung und -verarbeitung uns positiv oder negativ, altruistisch oder egoistisch erscheint, die Problematik bleibt, dass all diese Prozesse in unsere individuelle Selbstbestimmung und persönliche Autonomie eingreifen. Ob und inwiefern dies gerechtfertigt ist oder sein sollte, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden.
Welche Möglichkeiten gibt es aber, die größtmögliche Kontrolle über die eigenen Daten zu behalten und sie nicht vollständig und ungefiltert großen Unternehmen für deren Zwecke zur Verfügung zu stellen? Kann ich, als Einzelperson, überhaupt etwas dagegen tun?

Die schlechte Nachricht ist, dass es nur in sehr begrenztem Maße hilft, bestimmte Dienste wie beispielsweise Google oder Facebook nicht zu nutzen, da eine Vielzahl von anderen Apps und Webseiten ebenfalls Tracker dieser Unternehmen beinhalten. Hier lohnt es sich, genau auf die Datenschutzeinstellungen der einzelnen Apps und Webseiten zu achten und auf sichere Alternativen zurückzugreifen. Zudem sollten nur „notwendige“ Cookies zugelassen werden, auch wenn dies häufig ein paar Klicks mehr beansprucht.
Vor allem besteht jedoch von Seiten der Politik Handlungsbedarf. Ebenso wie sich die Algorithmen und Prozesse der Datenverarbeitung ständig erweitern, müssen auch Gesetze zum Datenschutz stets aktualisiert, angepasst und v.a. für die Verbraucher verbessert werden. Um der Politik die Anstöße dafür zu liefern, sollten sich Nutzer*innen zum Thema informieren, Missstände aufzeigen und sie kritisieren, damit diese letztlich behoben werden können. Wer das Ganze praktisch nachvollziehen möchte, kann selbst an einem Datenexperiment teilnehmen. Auf madetomeasure.online kann man seine Daten freigeben und die Ergebnisse der eigenen digitalen Existenz mit der Realität abgleichen.

 

Wenn Sie weiteres Interesse an dem Thema haben, die Lernplattform MEDIENRADAR bietet in ihrem aktuell veröffentlichten Dossier Daten & Privatsphäre – unsere digitalen Spuren ausführliche Informationen zum Thema Datenschutz und Tipps im Umgang mit Datensicherheit. Dort erfahren Sie auch, was Jugendliche über dieses Thema denken, es werden Filmtipps offeriert und es wird ein Lehrmaterial für die Nutzung im Unterricht ab der 7. Klasse aufwärts bereitgestellt.

 

Weitere Links und Quellen:

Alle Links wurden zuletzt geprüft am 27. Oktober 2021

Über Carolin Schramm

Nach ihrem Bachelor in Europäische Medienwissenschaft vertieft Carolin ihr Interesse für Medien im Masterstudiengang Medienwissenschaft an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Privat engagiert sie sich ehrenamtlich, u.a. bei ArbeiterKind.de. Für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2021 darf sich die FSF über ihre Unterstützung im Rahmen eines Praktikums freuen.