„Harmlose Grippe“ oder knallharte Lüge?

Corona-Verschwörungen auf YouTube

 

Auf YouTube tummeln sich seit Beginn der Covid-19-Pandemie Impfgegnerinnen und Impfgegner, Verschwörungsympathisierende und Corona-Leugnende. Die Videoplattform hat sich neben dem Instant-Messaging-Dienst Telegram zunehmend zu einem Hotspot für verschwörerische Mythen rund um das Virus herausgebildet. Die Influencerinnen und Influencer wissen genau, wie sie ihre Verschwörungserzählungen auf dem bei Jugendlichen erneut zum beliebtesten Onlineangebot gewählten Portal verbreiten können – und dabei geschickt die Maßnahmen der Plattformbetreibenden umgehen.
Wie können sich junge Menschen vor Fake News und Verschwörungsmythen zum Coronavirus schützen, wie überprüft man, ob eine Quelle vertrauenswürdig ist und welche Tipps helfen, um mit Corona-Leugnenden im Familien- und Freundeskreis umzugehen?

Schriftzug CORONALÜGEN auf eine Mauer gesprüht; Photo by Markus Spiske on Unsplash
Photo by Markus Spiske on Unsplash

Social Media als Nährboden für Verschwörungsmythen

Bereits vor dem Ausbruch des Coronavirus SARS-CoV-2 kursierten zahlreiche Verschwörungserzählungen in den sozialen Netzwerken. Laut Europäischem Auslandsdienst ist jedoch seit Beginn der Pandemie die Anzahl von Verschwörungsmythen und Desinformationen aber noch einmal erheblich angestiegen (Stand: Mai 2020). Allein im März vergangenen Jahres mussten Facebook und Instagram 40 Millionen Beiträge löschen, die verschwörerische Inhalte im Zusammenhang mit Corona aufwiesen. Die aktuelle JIM-Studie 2020 zeigt erschreckend eindeutig, dass viele Jugendliche regelmäßig mit Verschwörungsmythen in Kontakt kommen: So geben 43 Prozent der befragten zwölf- bis 19-Jährigen an, im letzten Monat auf „Verschwörungstheorien“ im Internet gestoßen zu sein. Insbesondere Jüngere berichten deutlich häufiger von Desinformationen und extremistischen Inhalten. Es wird vermutet, dass es gerade diesen schwerfalle, die entsprechenden Nachrichten klar einzuordnen und glaubwürdige von unverlässlichen Informationen zu unterscheiden.

Die wachsende Corona-Verschwörungsallianz auf der Videoplattform YouTube gibt Anlass zu Bedenken – vor allem vor dem Hintergrund, dass die Mehrheit der Jugendlichen das Portal regelmäßig im Alltag nutzt und das Schauen von Onlinevideos im Zuge der Pandemiesituation noch zusätzlich angestiegen ist. Der ausgeklügelte, schnell lernende Algorithmus schlägt Videos vor, die die Nutzenden zu großer Wahrscheinlichkeit anklicken werden und spielt das vorgeschlagene Video automatisch direkt im Anschluss ab. Das lässt Userinnen und User schnell tief in konspirativen Echokammern abrutschen.

Konspirative Kreise: Corona-Verschwörungen auf YouTube

Obwohl erste Verschwörungserzählungen bereits im 16. Jahrhundert aufkamen, hat sich im Gegensatz zur damaligen Zeit heute etwas Grundlegendes verändert: Die Verbreitung der Mythen ist vor allem durch Likes und Reposts auf sozialen Medien wesentlich schneller, leichter und effizienter geworden. Besonders YouTube wurde in den letzten Jahren immer wieder vorgeworfen, das Verbreiten von Desinformationen und Verschwörungserzählungen zu verstärken.

„Jeder kann senden, jeder kann Dinge verteilen, jeder kann ein YouTube-Video hochladen, in dem die eigene „Verschwörungstheorie“ thematisiert wird.“,

so Professor Kai Sassenberg vom Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen. Zahlreiche Netzberühmtheiten teilen, verlinken und zitieren verschwörerische Aussagen rund um das Coronavirus von prominenten Corona-Leugnenden und Aktiven der „Querdenken“-Bewegung oder kreieren ihren eigenen Content, um über die vermeintliche Wahrheit hinter dem Virus „aufzuklären“. Das österreichische Recherchenetzwerk Addendum kommt nach einer umfangreichen Datenrecherche zu dem Ergebnis, dass jedes sechste im April 2020 erfasste deutschsprachige Video zur Covid-19-Pandemie auf einem konspirativen Kanal erschien.
Auch die Schwerpunktanalyse 2020 „Alternative Medien“ der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) identifiziert reichweitenstarke YouTube-Kanäle als kritischen Multiplikator für Verschwörungserzählungen und alternative Fakten. In den untersuchten Onlinebeiträgen liegen Corona-Lügen dabei ganz vorn: „Im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 und den Beschränkungen zur Eindämmung der Pandemie überbieten sich rechtsalternative Medien mit Verschwörungstheorien und Desinformationen.“ Viele der Angebote haben das Risiko einer jugendgefährdenden und entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkung.

Zu den reichweitenstärksten Online-Aktiven der Verschwörungsszene in Deutschland gehört u.a. Ken Jebsen, der auf seinem Internetportal KenFM seit 2011 konspirative Inhalte teilt und in dem Video Gates kapert Deutschland! das Coronavirus als „harmlose Grippe“ abtut. Jebsens gleichnamiger YouTube-Channel (500.000 Abonnierende) wurde am 22. Januar 2021 nach mehrmaligem Verstoß gegen die Covid-19-Richtlinien der YouTube-Community nun endgültig von der Plattform gelöscht. YouTuber und Rapper Leon Lovelock (376.000  Abonnierende) polarisiert in mehreren Videos mit verschwörerischen Corona-Lügen. Das Problem: Die Videos und Kanäle werden von prominenten Influencerinnen und Influencern plattformübergreifend geteilt und beworben und obwohl alle Originalversionen der Videos von YouTube mittlerweile gelöscht wurden, gibt es bereits zahlreiche Reposts auf anderen sozialen Medien, die der Löschalgorithmus der Plattform nicht erfasst hat.

junge Fau mit Maske vorm Bildschirm; Bild von Engin Akyurt auf Pixabay;
Bild von Engin Akyurt auf Pixabay

Narrativ der Angst: Wie Jugendliche direkt angesprochen werden

Hinter der Funktionsweise von Verschwörungsmythen steckt ein kalkuliertes Spiel mit der Angst (Quelle: swr.de vom 10. November 2020, Eric Beres, Christian Saathoff). Beate Leinberger vom Berufsverband der Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen warnt, dass Kinder und Jugendliche durch die Auseinandersetzung mit Verschwörungsmythen in ihren Unsicherheiten und Ängsten bezüglich Corona bestärkt werden. Vertreterinnen und Vertreter von „Verschwörungstheorien“ nutzen dabei gezielt die beliebten Internetplattformen der jungen Menschen, um gerade diese in ihren Bann zu ziehen. Hier zeigen sich Parallelen zum Vorgehen rechtsextremistischer Netzaktive, welche Jugendliche gezielt in ihren digitalen Lebenswelten anzusprechen versuchen. Extremismus-Experte Reiner Becker erklärt im Interview mit dem ZDF: „Was immer gezogen hat: Mit jugendkulturellen Stilmitteln zu arbeiten“.

Was tut YouTube? Die Maßnahmen der Plattformbetreibenden

Im Kampf gegen die Flut an Falschinformationen und Verschwörungserzählungen fährt YouTube, wie andere soziale Netzwerke auch, zweigleisig: Einerseits durch Löschen von Videos mit konspirativen, gefährlichen Inhalten und andererseits durch das Anbieten von amtlichen, verlässlichen Informationen. Klickt man aktuell auf ein Video, das in Zusammenhang mit Corona steht, erscheint aktuell im unteren Bildrand des Videos ein Banner mit direktem Zugang zur Website der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sowie einem Link zu aktuellen Informationen über die Fortschritte der Impfstoffentwicklung des Bundesgesundheitsministeriums. Bereits Anfang März 2020 wurde beschlossen, dass für das Verbreiten von Informationen zu Covid-19 kein Geld mehr verdient werden darf, damit das Posten von Fake News seinen Anreiz verliere. Eine weitere Strategie des YouTube-Konzerns, welche seit 2017 primär für die Terrorismusbekämpfung genutzt wird, ist die Durchsetzung sog. „Shadow-Bans“. Dabei werden Kanäle auf ihre Vertrauenswürdigkeit überprüft – weniger vertrauenswürdige Inhalte sind folglich schwieriger über die Suchfunktion zu finden. So werden bei der Suche nach Inhalten rund um das Coronavirus Videos von seriösen Quellen (z.B. Nachrichtenagenturen, offizielle Institutionen) ganz oben gelistet.

Trotz der Bemühungen reichen die Maßnahmen der Plattform nicht aus. YouTuberinnen und YouTuber umgehen das Werbeverbot durch Verschleiern des coronabezogenen Videoinhalts, indem sie dem Virus andere Namen wie z.B. „Cori“ geben. Da das Löschen von Videos mit gefährlichem Inhalt meist erst nach Tagen erfolgt, haben die Verschwörungsideologen die Chance, ihren Content auf anderen Kanälen hochzuladen. Wie also können sich Kinder und Jugendliche vor Fake News und konspirativen Mythen auf YouTube schützen?

Enttarnt! Wie man sich gegen Fake News und Verschwörungsmythen schützen kann

Bei der Recherche von Informationen rund um das Coronavirus können folgende Schritte helfen, um fragwürdige Inhalte zu entlarven:

  1. Seriöse Quellen wählen
    Nur so können vertrauenswürdige Informationen bei der Nachrichtensuche über die Coronapandemie erhalten werden. Hier eignen sich die offiziellen Seiten des Bundesgesundheitsministeriums, des Robert-Koch-Instituts und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
  2. Quellen prüfen
    Bevor man einen Post weiterleitet, sollte sich zunächst vergewissert werden, welche Quelle den Informationen zugrunde liegt, ob diese plausibel ist und ob sie sich mit anderen vertrauenswürdigen Quellen verifizieren lässt.
  3. Kontext prüfen
    Es muss sichergestellt werden, dass Informationen, Zitate und Zahlen nicht aus dem Zusammenhang gerissen wurden.
  4. Faktencheck durchführen
    Zahlreiche seriöse Nachrichtenseiten bieten Factchecks und Faktenfinder zu kursierenden Covid-19-Informationen an. Beispiele: ARD-Faktenfinder, ZDFheuteCheck, MDR, CORRECTIV, Fakefinder-Quiz für Jugendliche vom SWR.
  5. Bilderrückwärtssuche anwenden
    Durch eine umgekehrte Bildrecherche bei Google, Microsoft Bing oder Reverse Image Search kann nachgeprüft werden, wie lange ein Bild bereits existiert und in welchem Kontext es entstanden ist. 

Und: Auf YouTube wimmelt es nicht nur von Verschwörungen – Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim zum Beispiel informiert auf ihrem YouTube-Kanal maiLab u.a. über Medienbildung und „Verschwörungstheorien“.

Weitere YouTube-Videos zum Umgang mit dem Coronavirus und Verschwörungserzählungen für Kinder und Jugendliche:

Wie erkläre ich meinem Kind das Coronavirus CoV-Sars-2?

Wie erkläre ich meinem Kind, was Verschwörungsmythen sind?

Tipps zum Umgang mit Corona-Leugnenden im Familien- und Freundeskreis:

 

Quellen und weiterführende Links:

Studien:

    • jugendschutz.net von 11. Januar 2021: Islamismus im Netz 2019/20 (Weniger zum Thema Corona als zur emotionalen Ansprache in den sozialen Medien, um Heranwachsende für islamistische Themen zu gewinnen – Stichwort: Manipulation)

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Weitere Informationen grundsätzlich zu den Themenkomplexen Medienkompetenz, Desinformation u.a. finden Sie im fsf blog:

Links zuletzt geprüft im Januar 2022

Über Ida Bandemer

Ida Bandemer studiert Kommunikations- und Medienwissenschaften im Bachelor an der Universität Leipzig. Ihre zwei Auslandssemester an der Tampere University in Finnland nutzte sie, um vor allem die Disziplinen der Medienpädagogik, Soziologie und Bildungswissenschaften zu erkunden. Neben ihrem Studium arbeitet sie als Werkstudentin beim Netzwerk für Grünen Wasserstoff HYPOS e.V. in Leipzig und unterstützt das Lokal- und Ausbildungsradio der Universität mephisto 97.6. Seit August 2020 schreibt sie Artikel für den fsf blog.